Barbara Menke „Tausche jungen Wolf gegen alten Fuchs“

Kompetenz – Erfahrung – Beschäftigungsfähigkeit: Das Projekt KEB 40plus

Die Bildungsvereinigung Arbeit und Leben nimmt als Einrichtung der politischen Bildung mit dem Projekt KEB40plus ein aktuelles arbeitsmarkpolitisches Thema auf und möchte so dazu beitragen, Ansätze der beruflichen mit der politischen Bildung zu verbinden. In die Ausarbeitung des Curriculums werden gezielt spezifische Fragestellungen der politischen Bildung aufgenommen und Fragen der persönlichen Entwicklung wie unternehmerischen Entscheidung im gesellschaftspolitischen Kontext diskutiert. Politische Bildung kann und will sich von den Trends im übrigen Bildungssystem nicht abkoppeln. So sehr es ihre Hauptaufgabe bleibt, das ureigene Feld zu bearbeiten, so wenig dürfen ihre Träger und Institutionen zu „gated communities“ werden. Denn Poltische Bildung kann ihre spezifi-schen Fragestellungen und Arbeitsweisen sehr gut in andere Felder der Bildung hineintragen und dort zur Geltung bringen.

Ein solches Feld, die berufliche Qualifikationssicherung- und -erweiterung, berührt das Projekt KEB40plus. Das Vorhaben stellt sich darüber hinaus dem Paradigmenwechsel, der gegenwärtig die gesamte Bildungsdiskussion bewegt und der auch in der politischen Bildung erörtert wird. Im Mittelpunkt von KEB40plus steht, wie der Name erarten lässt, der Kompetenzbegriff, der durch PISA und die Nachfolgeuntersuchungen in der internationalen Bildungsdiskussion fest verankert ist. Kompetenz meint hier kurz: Wissen, das zum Können befähigt. Gemeint sind Fähigkeiten, Fertigkeiten, aber auch Haltungen und Einstellungen, die es ermöglichen, spezifische Anforderungen zu erfüllen. Und KEB40plus widmet sich diesem Zusammenhang vor einem speziellen politischen Hintergrund – der Herausforderung einer älter werdenden Gesellschaft.

Demographie und Arbeitsmarkt

Die demographischen Veränderungen, die in den kommenden Jahrzehnten die gesellschaftlichen Diskussionen maßgeblich bestimmen werden, sind hinlänglich beschrieben. In diesem Gesamtkontext wird häufig darauf verwiesen, dass im Jahr 2010 in Deutschland über 30 % der Bevölkerung 60 Jahre und älter sein werden. Im Jahr 2015 wird der Berg der „Babyboomer“ noch zum größten Teil unter 65 Jahren alt, also noch im erwerbsfähigen Alter sein.

Zu diesem allgemeinen Trend kommt einigen Prognosen zu Folge ab dem Jahr 2010 eine spezifische Problemlage hinzu: Das Angebot an Arbeitskräften wird sinken, ein Fachkräftemangel wird von entsprechenden Wirtschaftsinstituten und Kommissionen prognostiziert. „Bis zum Jahr 2015 fehlen nach Schätzung rund 7.000.000 Erwerbspersonen, wenn man von einem Anstieg des Arbeitskräftebedarfs von knapp 3.000.000 Personen ausgeht.“ (Bericht der Hartz-Kommission) Einigen Einschätzungen nach lässt sich insbesondere dieser Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften nicht durch Zuwanderung stoppen.

Die gegenwärtige Situation lässt sich wie folgt beschreiben: Unternehmen wie Arbeitsverwaltung wissen um die Probleme. Unternehmen weisen auch darauf hin, dass ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gebraucht werden. Faktisch arbeiten sie aber noch immer auf eine Verjüngung der Belegschaften hin. Europaweit liegt Deutschland bedauerlicherweise an der Spitze bei der wachsenden Zahl der älteren Arbeitslosen: 30 % der Arbeitslosen sind über 50 Jahre alt. Ältere Beschäftigte gelten hierzulande häufig als „Altlast“ und nicht als personal- und betriebswirtschaftliche Ressource. Während in Schweden über 68 % der 55-64-Jährigen noch einer Erwerbsarbeit nachgehen, sind es in Deutschland lediglich 37 %. Gleichzeitig wird die Gruppe der heute 40-Jährigen nur wenig darauf vorbereitet, welche Folgen der demographische Wandel für ihr Erwerbsleben hat und wie sie zielgerichtet ihre Fertigkeiten und Fähigkeiten so weiter entwickeln, dass sie ihre spezifischen Potenziale ab der Lebensmitte auch im Erwerbsleben erhalten und erweitern können.

Kompetenzen und Potentiale ab der Lebensmitte

Der derzeitige Umgang mit älter werdenden Belegschaften lässt sich an Hand folgender Reaktionsmuster kurz skizzieren:

  • Frühverrentung ist nach wie vor eine typische Strategie der Personalpolitik. Das hat zur Folge, dass Unternehmen wertvolles Know-how verlieren.
  • Es gibt Vorurteile über die Leistungsfähigkeit älterer Menschen. Das hat zur Folge, dass ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht entsprechend ihrer realen Stärken und Fähigkeiten eingesetzt werden.
  • Weiterbildung (allgemeine wie berufliche) wird vorrangig für jüngere MitarbeiterInnen angeboten. Das hat zur Folge, dass Wissen und Qualifikation älter werdender Kollegen und Kolleginnen stagnieren und/oder veralten.
  • Es gibt wechselseitige Vorurteile zwischen jüngeren und älteren Kollegen und Kolleginnen. Das hat zur Folge, dass es an Zusammenarbeit mangelt, der Wissenstransfer zwischen den Generationen behindert ist und daraus resultierend eine sinkende Einsatzflexibilität zu verzeichnen ist.
  • Es gibt derzeit noch immer eine jugendzentrierte Innovationspolitik. In der Folge dieses Ansatzes werden Kompetenzen und Kreativität der Menschen ab der Lebensmitte für Innovationen zu selten bzw. nie genutzt.
  • Es gibt eine unzureichende Sensibilisierung und Aktivierung für die angesprochene Problematik, was zur Folge hat, dass langfristig wirksame Personalentwicklungsstrategien derzeit nicht oder kaum verfolgt werden.

Diese Situation ist oftmals zu konstatieren, wenngleich zahlreiche empirische Untersuchungen belegen, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen der Arbeitsleistung älterer und jüngerer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gibt. Denn nicht das Niveau der Leistung wandelt sich im Allgemeinen mit dem Älterwerden, sondern eher das Spektrum der Leistungsmerkmale. Ist der Verlauf des Beruflebens durch vielseitige, abwechslungsreiche Anforderungen und Lern- und Entwicklungsprozesse geprägt, dann wächst die berufliche Kompetenz gemeinsam mit dem Alter.

Vor diesem Hintergrund wurde in den verschiedenen Arbeitskontexten von Arbeit und Leben diskutiert, ob und wie weit es sich eine Gesellschaft leisten kann, die vorhandenen Kompetenzen und Potentiale brach liegen zu lassen, und was getan werden muss, damit Menschen ab der Lebensmitte auf veränderte Anforderungen und Möglichkeiten im Erwerbsleben vorbereitet werden können. Der prognostizierende Paradigmenwechsel hinsichtlich der Herausforderung alternder Belegschaften wird folgende Fragestellungen und Entwicklungen in den Mittelpunkt stellen:

  • Schaffung von ausgewogenen Altersstrukturen: Rekrutierungs- und Verrentungswellen vermeiden.
  • Abbau von ungerechtfertigten Vorurteilen über die Leistungsfähigkeit älter werdender MitarbeiterInnen.
  • Vermeidung einseitiger Spezialisierung, stattdessen Aktivierung und Förderung der Kompetenzen.
  • Förderung des Transfers von Erfahrungswissen zwischen den betrieblichen Altersgruppen und systematische Nutzung von komplementären, altersspezifischen Fähigkeiten jüngerer und älter werdenden Menschen.
  • Alternsgerechte Arbeitsgestaltung und betriebliche Gesundheitsförderung, um die Berufsverweildauer bis zur Erreichung der Altersgrenze zu ermöglichen.
  • Systematische Einbeziehung älter werdender Beschäftigter in die anstehenden Innovationsprozesse.

Auf der Basis dieser Entwicklungstendenzen führt der Bundesarbeitskreis Arbeit und Leben das Projekt KEB 40plus: Kompetenz – Erfahrung – Beschäftigungsfähigkeit durch. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die Dauer von drei Jahren. Ziel des Projekts ist die Entwicklung und Erprobung eines modularisierten Curriculums für die allgemeine und die berufsbezogene Bildung, um MultiplikatorInnen und Menschen ab der Lebensmitte zu motivieren und zu qualifizieren, die Arbeitswelt unter Nutzung der „Potenziale des Alters“ zu gestalten. Mit diesem Curriculum werden auf der einen Seite die MultiplikatorInnen (Personal- und Betriebsräte, Personalverantwortliche, Meister, VorarbeiterInnen) und auf der anderen Seite die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ab der Lebensmitte als Zielgruppe angesprochen.

Die MultiplikatorInnen werden dabei in die Gesamtproblematik eingeführt, um perspektivisch in ihren jeweiligen Handlungsfeldern entsprechende Maßnahmen umsetzen zu können. Ziel der Weiterbildungsveranstaltungen für die ArbeitnehmerInnen ist es, Menschen ab der Lebensmitte zu motivieren und zu qualifizieren ihre Beschäftigungsfähigkeit länger und aktiver zu erhalten und zu sichern. Vorhandene Entwicklungschancen individuell und beruflich zu nutzen und somit ihre Kompetenzen weiter zu entwickeln. Die Fortbildungsmodule für die MultiplikatorInnen umfassen dabei u.a. inhaltliche Schwerpunkte:

  • gesetzliche und tarifliche Rahmenbedingungen für die Beschäftigung älterer ArbeitnehmerIn-nen,
  • gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen,
  • Personalentwicklung in einem ausgewogenen innerbetrieblichen Generationenmix,
  • Altersteilzeitmodelle gekoppelt an neue Formen flexibler Pensionierungsmöglichkeiten,
  • Berufs- und „Karrierewechsel“ in späteren Erwerbsjahren,
  • Das Image verschieben“: Qualifikation und Leistung im Mittelpunkt anstatt Beurteilung nach Lebensjahren.

Für die Zielgruppe „Menschen ab der Lebensmitte“ wird ein Weiterbildungskonzept entwickelt, das sich mit Fragestellungen der Lebensgestaltung, Lernmöglichkeiten und beruflichen Entwicklung in der zweiten Lebenshälfte beschäftigt. Inhalte dieses Konzeptes werden u.a. Themenschwerpunkte sein wie:

  • Lernmöglichkeiten und Lernstrategien,
  • Motivation und Stärkung der Weiterbildungsbereitschaft,
  • Wahrnehmung der Bedeutung von Bildung als lebensbegleitende Weiterbildung im Kontext von „Jobsicherung“ und Wettbewerbschancen,
  • Selbstdefinition der Generation 40 plus als wachsende „Workforce“,
  • Möglichkeiten, durch Weiterbildung, beruflicher wie allgemeiner Art, das erworbene Wissen à jour zu halten,
  • Gesundheitsprophylaxe im Alltag und Betrieb,
  • Work-Life-Balance als individuelle und gesellschaftliche Aufgabe.

Das breite Themenspektrum haben wir zusammengefasst unter den Themenschwerpunkten:

  • Demographischer Wandel und Beschäftigung,
  • Nachhaltige Arbeits- und Erwerbsbeteiligung: Gesundheit und Prävention,
  • Personalentwicklung und Weiterbildung,
  • Work-Life-Balance und Arbeitszeitpolitik,
  • Ansätze und Formen altersgerechte Erwerbsarbeit,
  • Interessenvertretung und demographiesensible Unternehmenskultur.

Das Gesamtcurriculum umfasst dabei ein Einstiegsmodul, in dem es darum geht, durch einen „Demographie-Check“ die aktuelle Lage im Unternehmen und den jeweiligen Bedarf an Weiterbildungs-maßnahmen zu eruieren. Das abschließende Perspektivmodul bietet für die Beteiligten die Möglichkeit, konkrete Umsetzungsmaßnahmen zu entwickeln, die Perspektiven von MultiplikatoInnen und ArbeitnehmerInnen zusammen zu bringen und weitere Überlegungen anzubringen.

Hier geht es zum Curriculum/Module

Zur Entwicklung und Umsetzung des Curriculums

Für die Entwicklung der Weiterbildungsmodule haben wir ein Team von Experten und Expertinnen zusammengestellt, das gemeinsam mit den pädagogischen MitarbeiterInnen von Arbeit und Leben das genannte Curriculum erarbeiten wird. Zu diesem Team gehören: Prof. Dr. Frerich Frerichs von der Fachhochschule Vechta, Lehrstuhl für „Altern und Arbeit“, Dr. Anja Gerlmeier vom Institut für Ar-beit und Technik (IAT), Forschungsschwerpunkt Arbeitszeit und Arbeitsorganisation, Dr. Harald Künemund von der Freien Universität Berlin, Mitarbeiter in der Forschungsgruppe „Altern und Lebenslauf“, Dr. Jürgen Grumbach, Leiter der Technologieberatungsstelle beim DGB/NRW mit dem Ar-beitsschwerpunkt „Alternde Belegschaften im demographischen Wandel - ein Thema für die Interessenvertretung“ und Gabi Schilling ebenfalls vom IAT mit dem Arbeitsschwerpunkt „Bildung und Erziehung im Strukturwandel Arbeitszeitmodelle und Work-Life-Balance“.

Die Module werden eine strukturierte Sachanalyse, didaktisierte Materialien sowie didaktisch methodische Hinweise für die Umsetzung enthalten. Neben dem aktuellen wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Diskussionsstand werden die strukturierten Sachanalysen die Perspektive zu gesellschaftspolitischen Fragestellungen konsequent mit einbeziehen und versuchen, unter den Kategorien von sozialer Gerechtigkeit und Geschlechter- und Generationengerechtigkeit das jeweils zu behan-delnde Thema aufzuarbeiten.

Die Projektidee besteht darin, neben der Entwicklung des Curriculums dieses auch zu erproben und die Praxiserfahrungen auszuwerten. Ansatzpunkt dabei war es, entsprechende Unternehmen, Betriebe und Verwaltungen zu finden, die bereit sind, sich durch Weiterbildungsangebote der skizzierten Problematik zu stellen. In der ersten Projektphase ist es uns gelungen, entsprechende Kooperationspartner zu finden, wobei unser Interesse war, neben den Betrieben und Unternehmen auch die jeweiligen Gewerkschaften in die Arbeit mit ein zu beziehen. Im Folgenden wird kurz skizziert, in welchen Einrichtungen von Arbeit und Leben und mit welchen Kooperationspartnern das Projekt KEB 40plus umgesetzt wird.

  • In der Landesarbeitsgemeinschaft Bremen wird das Projekt in Kooperation mir dem Klinikum Bremen Mitte umgesetzt sowie in enger Absprache mit ver.di und dem DGB. Zielgruppe sind hier der betriebsärztlicher Dienst, Personalverantwortliche sowie Pflegekräfte ab der Lebensmitte.
  • Die Landesorganisation Berlin/Brandenburg wird das Projekt im Bezirksamt Berlin Mitte realisieren, in enger Kooperation mit ver.di. Hier richten sich die Aktivitäten an die Personalräte, die Arbeitsgemeinschaft Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie die Verwaltungsangestellten.
  • Die Landesorganisation Niedersachsen wird das Projekt in Zusammenarbeit mit der Metallindustrie (den Firmen MAHR und Sartorius) sowie in Kooperation mir der IG Metall umsetzen. Angesprochen werden hier die entsprechenden Betriebs- und Vertrauensleute sowie ältere Angestellte.
  • In Nordrhein-Westfalen wird Arbeit und Leben das Projekt enger Kooperation mit dem Chemiebetrieb DuPont erproben. Zielgruppe sind auch hier personalverantwortliche Betriebräte und ArbeitnehmerInnen. Mit einbezogen in die Arbeit ist die IG BCE.
  • Arbeit und Leben Sachsen-Anhalt hat einen Kooperationsvertrag mit der Stadtverwaltung Mer-seburg abgeschlossen. Ziel ist es hier, insbesondere mit der Personalabteilung entsprechende Angebote für die Angestellten im öffentlichen Dienst ab dem 40. Lebensjahr anzubieten. Un-terstützt werden die Aktivitäten von ver.di.
  • Arbeit und Leben Thüringen richtet sich in der Umsetzung ebenfalls an den öffentlichen Dienst. Das Landratsamt Unstrut-Hainich hat Interesse an einer Kooperation gezeigt ebenso wie die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Ziel ist es hier, Personalräte und Verwaltungsangestellte in die Arbeit ein zu beziehen.

Die Entwicklungsphase des Projekts wird bis zur Mitte des Jahres andauern, danach werden die einzelnen Module an den genannten Projektstandorten umgesetzt. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt vom Forschungsinstitut für Arbeit, Bildung, Partizipation (FIAB) in Recklinghausen. „Tausche jungen Wolf gegen alten Fuchs“ – diese zugespitzte Formulierung soll den Blick darauf lenken, die Kompetenzen und Fähigkeiten der heute mittleren Generation stärker in den Blick zu nehmen und zu fördern. Ob und inwieweit ein „pädagogisches Projekt“ dazu beitragen kann, Beschäftigungsverhältnisse und Weiterbildungsmöglichkeiten „gerechter“ zu gestalten, bleibt abzuwarten.

Barbara Menke ist Referentin in der Bundesgeschäftsstelle von Arbeit und Leben und für das Projekt KEB 40plus zuständig.

Der Aufsatz ist erschienen in: Praxis Politische Bildung, 3 (2006), S.181-187.