KEB40plus:ein Weiterbildungskonzept für Menschen ab der Lebensmitte

Wenn in Weiterbildungseinrichtungen über den demographischen Wandel gesprochen wird, dann geht es häufig darum, der Frage näher zu treten, ob und in wie weit es richtig ist, neben der Jugend- und Erwachsenenbildung auch den Bereich der Seniorenbildung aufzubauen oder weiter zu intensivieren. Eine Diskussion, die sicherlich richtig ist und insbesondere im Hinblick auf die Frage, in wie weit sich die politische Bildungsarbeit der älteren Menschen annehmen muss, ob sie ggf. spezifische Formate und didaktische Vorgehensweisen entwickeln muss, eine noch nicht intensiv geführte Diskussion.

ARBEIT UND LEBEN, ist seit längerem im Bereich der Bildungsarbeit mit älteren Erwachsenen aktiv, hat sich nach einigen Erfahrungen insbesondere im Feld der Qualifizierung von älteren Erwachsenen für das nachberufliche Engagement (1) nun im Kontext der vielfältigen Diskussionen um die Folgen des demographischen Wandel einer anderen Zielgruppe zugewandt: Den Männern und Frauen, die heute Mitte 40 sind. Aus unserer Perspektive werden sie die Altersgruppe sein, die am stärksten von den Folgen des demographischen Wandels betroffen ist oder positiv ausgedrückt, die am ehesten die Möglichkeit hat, den demographischen Wandel mit zu gestalten und positiv zu besetzen. Die heute in den mittleren Jahren stehende Generation wird die erste Generation sein, die von der Verlängerung der Lebensarbeitszeit berührt sein wird. Gleichzeitig ist diese Generation der „Babyboomer" in der Regel eine gut ausgebildete Generation, hat zahlreiche Potentiale, um die Gesellschaft und die Arbeitswelt aktiv - im Sinne eines positiven Altersbilds - mit zu gestalten.

Mit dem Projekt KEB40plus nimmt ARBEIT UND LEBEN als Einrichtung der politischen Bildung ein aktuelles gesellschaftspolitisches wie arbeitsmarktpolitisches Thema auf und möchte im Grenzbereich von beruflicher, allgemeiner und politischer Bildung einen Beitrag dazu leisten, die anstehenden Entwicklungen und Herausforderungen durch Weiterbildung positiv zu gestalten.

Idee und Anliegen des Projekts sowie erste Umsetzungsschritte werden im folgenden kurz skizziert.

Demographie und Arbeitswelt

Die demographischen Entwicklungen sind hinlänglich beschrieben. Verwiesen sei an dieser Stelle auf die Tatsache, dass im Jahr 2015 der Berg der „Babyboomer" noch zum größten Teil unter 65 Jahre alt, also noch im erwerbstätigen Alter sein wird. Gemeinsam „alternde Belegschaften" werden künftig zunehmen, dies auch, weil vielfach jüngere nicht neu eingestellt werden und die Möglichkeiten zur Frühverrentung auslaufen. Diese Entwicklung war ein Ausgangspunkt für die Überlegungen zum Projekt.
Hinzu kommt ein von zahlreichen Arbeits- und Wirtschaftswissenschaftlern prognostizierter Fachkräftemangel für die Zeit ab 2010.

Die gegenwärtige Situation lässt sich - in gewisser Weise in einem Dilemma - beschreiben: Unternehmen wie Arbeitsverwaltungen wissen um die vorhandnen Probleme, Unternehmen weisen darauf hin, dass ältere ArbeitnehmerInnen gebraucht werden, faktisch arbeiten sie aber auf eine Verjüngung der Belegschaften hin. Europaweit liegt Deutschland bedauerlicherweise an der Spitze bei der wachsenden Zahl älterer Arbeitslose: 30 % der Arbeitslosen sind über 50 Jahre alt. Ältere Beschäftigte gelten hierzulande häufig als „Altlast" und nicht als personal- und betriebswirtschaftliche Ressource. Dazu kommt, dass im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, insgesamt die Erwerbsquote älterer Männer und Frauen deutlich geringer ist, während in Schweden 68 % der über 55-64-jährige noch eine Erwerbsarbeit nachgehen, sind es in Deutschland lediglich 37 %.

Gleichzeitig tritt dazu das Problem, dass die heute 40-jährigen nur wenig darauf vorbereitet werden, welche Folgen der demographische Wandel für ihr Erwerbsleben hat und wie sie zielgerichtet ihre Fertigkeiten und Fähigkeit so weiterentwickeln, dass sie ihre spezifischen Potentiale ab der Lebensmitte auch im Erwerbsleben erhalten und erweitern können. 

Das Projekt „KEB40plus"

Auf der Basis der genannten Entwicklungstendenzen führt der Bundesarbeitskreis ARBEIT UND LEBEN das Projekt „KEB40plus: Kompetenz-Erfahrung- Beschäftigungsfähigkeit" durch. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für die Dauer von 3 Jahren. Ziel des Projekts ist die Entwicklung und Erprobung eines modularisierten Curriculums für die allgemeine und berufsbezogene Bildung, um MultiplikatorInnen und Menschen ab der Lebensmitte zu motivieren und zu qualifizieren, die Arbeitswelt unter Nutzung der „Potentiale des Alters" zu gestalten.(2)

Mit dem Curriculum werden zwei Zielgruppen angesprochen:

1. MultiplikatorInnen (Personal- und Betriebsräte, Personalverantwortliche Meister, VorarbeiterInnen) und

2. ArbeitnehmerInnen ab der Lebensmitte: Männer und Frauen ab dem 40zigsten Lebensjahr.

Für die MultiplikatorInnen wird es im Verlauf des Projekts darum gehen, sie in die Gesamtproblematik einzuführen, damit sie perspektivisch in ihren jeweiligen Handlungsfeldern entsprechende Maßnahmen umsetzen können. Ziel der Weiterbildungsveranstaltung für die ArbeitnehmerInnen ist es, sie zu motivieren und zu qualifizieren, ihre Beschäftigungsfähigkeit länger und aktiver zu erhalten und zu sichern. Vorhandene Entwicklungschancen individuell und beruflich zu nutzen und somit ihre Kompetenzen weiter zu entwickeln.

Die Fortbildungsveranstaltungen für die MultiplikatorInnen umfassen dabei u. a. inhaltliche Schwerpunkte wie:
- gesetzliche- und tarifliche Rahmenbedingung für Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen,
- gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen,
- Personalentwicklung in einem ausgewogenen innerbetrieblichen Generationenmix,
- Altersteilzeitmodelle gekoppelt an neue Formen flexibler Pensionierungsmöglichkeiten
- „Berufs- und Karrierewechsel" in späteren Erwerbsjahren,
- Das Image verschieben „Qualifikation und Leistung im Mittelpunkt anstatt Beurteilung nach Lebensjahren".

Für die Zielgruppe „Menschen ab der Lebensmitte" (40plus) wird ein Weiterbildungskonzept entwickelt, das sich mit Fragestellungen der Lebensgestaltung, Lernmöglichkeiten und beruflichen und persönlichen Entwicklung in der zweiten Lebenshälfte beschäftigt. Hier werden u. a. Themenschwerpunkte wie:

- Lernmöglichkeiten und Lernstrategien,
- Motivation und Stärkung der Weiterbildungsbereitschaft,
- Wahrnehmung der Bedeutung von Bildung als lebensbegleitende Weiterbildung im Kontext von Jobsicherung und Wettbewerbschancen,
- Selbstdefinition der Generation 40plus als wachsende „Workforce „,
- Möglichkeiten durch Weiterbildung das vorhandene Wissen a jour zu halten,
- Gesundheitsprophylaxe im Alltag und Betrieb,
- Work-Life-Balance als individuelle und gesellschaftliche Aufgabe.

Das angerissene Themenspektrum ist in den folgenden Schwerpunktthemen zusammengefasst.

Das Gesamtcurriculum umfasst dabei ein Einstiegsmodul, in dem es darum geht, durch einen Demographie-Check die aktuelle Lage im Unternehmen und den jeweiligen Bedarf an Weiterbildungsmaßnahmen zu erruieren. Das abschließende Perspektivmodul bietet die Möglichkeit, konkrete Umsetzungsmaßnahmen zu entwickeln und die Perspektiven von MultiplikatorInnen und ArbeitnehmerInnen zu weiteren gemeinsamen Überlegungen zusammen zu bringen.

Dieses Curriculum ist gemeinsam entwickelt worden von WissenschaftlerInnen aus den Bereichen der Demographieforschung, der Arbeitsmarktgestaltung sowie den hauptamtlichen pädagogischen MitarbeiterInnen von ARBEIT UND LEBEN. Die Module umfassen neben einer strukturierten Sachanalyse, didaktisierte Materialien und Hinweise für die didaktisch methodische Umsetzung.

Potentiale ab der Lebensmitte

Zu den Grundannahmen für die Projektansetzung gehört es, dass wir stark auf die Kompetenzen des Alters setzen und somit auch für diesen Teil der Weiterbildungsarbeit einen „Kompetenzansatz" umsetzen wollen.

Allen wissenschaftlichen Untersuchungen zu Folge, nehmen Lernfähigkeit und Lernbereitschaft im Alter nicht ab, sondern sind von vorherigen Lernerfahrungen geprägt. Ebenso sind die Veränderungen der Leistungsfähigkeit im Alter weit geringer als vielfach angenommen. Nach diesen Erkenntnissen bleiben folgende Komponenten unabhängig vom Alter gleich:

• Leistungs- und Zielorientierung,
• Systemdenken,
• Kreativität,
• Entscheidungsfähigkeit.

Neben diesen gleichbleibenden Merkmalen der Leistungsfähigkeit ergeben sich Merkmale, die im Alter zunehmen. Hier sind insbesondere zu nennen:

• Lebens- und Berufserfahrung,
• betriebsspezifisches Wissen,
• Urteilsfähigkeit,
• Zuverlässigkeit,
• Qualitätsbewusstsein,
• Konfliktfähigkeit,
• Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein,
• Angst vor Veränderung.

Lediglich die folgenden drei Punkte sind Leistungsmerkmale, die im Alter abnehmen:

• körperliche Leistungsfähigkeit (hören, sehen, Muskelkraft),
• geistige Beweglichkeit, Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung,
• Kurzzeitgedächtnis.

Dieses zu Grunde gelegt, geht es uns in der konkreten Umsetzung darum, die im Alter zunehmenden Leistungsfähigkeitsmerkmale zu stärken bzw. bewusst zu machen und dahin gehend weiter zu entwickeln, dass sie in den Arbeitsprozess eingebracht werden können. Davon ausgehend legen wir der Arbeit Grundsätze einer „alternsgerechten Didaktik" zu Grunde, die sich an den folgenden Aspekten orientiert:

• Selbststeuerung des Lernens (persönlich definiertes Lerntempo, individuelle Wiederholungs- und Vertiefungsschritte, ausreichend Zeit für Übung),
• Anknüpfung an Erfahrungswissen: Verdeutlichung der Praxisrelevants des Stoffs und des persönlichen Lerngewinns im Rahmen von Aufgaben, Beispielen und Übungen,
• Integration von Arbeit und Lernen: Arbeitsplatznähe des Lernortes, Vermeidung schulischer Prinzipien, „Lerninseln" im Betrieb, arbeitsnahe Qualifikation,
• Individualisierung: systematischer Bezug auf individualspezifische Kenntnisse und Arbeitsplatzanforderungen, Berücksichtigung individueller Lernvorlieben z. B. hinsichtlich des Lerntempos, der Umgebung und Lernstils,
• Differenzierung: Berücksichtigung sozialer Ausgangsvoraussetzung im Hinblick auf den Gesundheitszustand, Nationalität, Geschlecht , Vorbildung, Arbeitsplatz etc..(3)

Die praktische Umsetzung hat dies zu Folge, dass im Rahmen des Projekts nicht mit einer klassischen „ Angebotsprogrammplanung" gearbeitet wird, sondern wir ein anderes Vorgehen wählen.

Zur Zeit finden an den beteiligten Projektstandorten Zukunftswerkstätten mit den beteiligten Akteuren statt, um gemeinsam ein Bildungsprogramm für das Jahr 2007 zu entwickeln. Dies bezieht sich sowohl auf die inhaltlichen Schwerpunkte im Detail als auch auf die Weiterbildungsformate. Deutlich wird jetzt schon, dass ein Teil der Angebote als arbeitsintegrierte Angebote im Kontext der regulären Arbeitszeit angeboten werden. Gleichzeitig aber auch Veranstaltungstypen, wie sie in der allgemeinen Erwachsenenbildung üblich, sind durchgeführt werden. 

Zur Projektumsetzung

Wie bereits erwähnt, ist die Entwicklungsphase des Projekts abgeschlossen und erste Schritte zur Umsetzung des Projekts initiiert. Beteiligt an Projekt sind die Landesarbeitsgemeinschaften von ARBEIT UND LEBEN in Berlin Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Modellhaft wird an allen Projektstandorten das Projekt in Kooperation mit Unternehmen, Betrieben und öffentlichen Verwaltungen umgesetzt.
An drei Standorten wird das Projekt modellhaft in der Öffentlichen Verwaltung umgesetzt (Bezirksamt Berlin Mitte, Stadtverwaltung Merseburg, Stadtverwaltung Erfurt). Am Standort in Bremen ist eine Kooperation mit dem Bremer Klinikum ins Leben gerufen. Am Standort in Niedersachsen gibt es Kooperationsvereinbarungen mit der metallverarbeitenden Industrie. In Nordrhein-Westfalen wird das Projekt in Kooperation mit der Firma Henkel umgesetzt. An allen Projektstandorten sind in das Kooperationsnetzwerk, die Gewerkschaften ver.di, IG Metall, und IGBCE eingebunden. Dies bietet aus unserer Sicht eine gute Gewähr dafür, die unterschiedlichen Interessen im Projektkontext mit im Blick zu haben und entsprechende Umsetzungsmaßnahmen in die Wege zu leiten.

„Tausche jungen Wolf gegen alten Fuchs" - Diese zugespitzte Formulierung im Untertitel des Projekts soll darauf lenken, die Kompetenzen und Fähigkeiten der heute mittleren Generation stärker in den Blick zu nehmen und durch Weiterbildungsmaßnahmen zu fördern. Insofern verstehen wir das Projekt als ein „pädagogisches Projekt", das orientiert an den normativen Größen von sozialer Gerechtigkeit, Generationengerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit, einen Beitrag dazu leisten will, die Beschäftigungsverhältnisse insgesamt gerechter zu gestalten. Ob dieser hohe Anspruch gelingen kann, bleibt abzuwarten.


Anmerkungen:
(1) siehe dazu: MoQua: Ein Projekt zur Motivation und Qualifikation von älteren Erwachsenen für das bürgerschaftliche Engagement; https://www.moqua.arbeitundleben.de
(2) Ausführliche Informationen zum Projekt unter: https://keb40plus.arbeitundleben.de.
(3) Hinweise sind aus den internen Materialien für das Curriculum entnommen. Geplant ist die „inhaltlichen Sachanalysen" zu den einzelnen Modulen im Frühjahr 2007 zu veröffentlichen. Da die Umsetzungsphase erst begonnen hat, können bislang noch keine Erfahrungen aus der Praxis berichtet werden.


Autorin:
Barbara Menke, Referentin im Bundesarbeitskreis ARBEIT UND LEBEN, Entwicklung und Koordination von Modellprojekten in der Jugend- und Erwachsenenbildung sowie der Alternsbildung

Quelle: Außerschulische Bildung, Heft 4-2006